Allein Reisen – bedeutet nicht immer pure Freiheit
- Alissa

- vor 13 Minuten
- 8 Min. Lesezeit
Was jetzt folgt, ist kein klassischer Reisebericht. Es ist ein sehr persönlicher Einblick in Gedanken, Gefühle und Momente, die man auf Fotos nicht sieht. Unsortiert, ehrlich und genau so, wie sie sich gerade anfühlen.

Ich stehe mir so oft selbst im Weg. Ich denke zu viel und ich denke zu wenig. Ich informiere mich, aber scheinbar nicht über die richtigen Dinge. Ich komme in einer neuen Umgebung an und bin komplett überfordert, was ich mit mir dort nur anfangen soll. Mir ist irgendwie alles zu viel und gleichzeitig mache ich mich fertig, dass ich zu wenig mache.
So wie jetzt, ich höre live Musik bin aber zu k.o. um hinzugehen. Innerlich mache ich mich fertig und denke, dass ich so eine Langweilerin bin. Ich hoffe auf soziale Interaktionen, halte mich aber genau dort auf, wo es fast unmöglich ist, Gesellschaft zu finden. Und deshalb erstaunt es mich immer wieder, dass ich es doch irgendwie schaffe, soziale Interaktion zu haben. Im inneren mache ich mich fertig, da ich denke, die anderen holen mehr aus ihrer Zeit raus. Dass sie mehr erleben, Freundschaften knüpfen, mehr sehen, intensivere Erfahrungen machen und dass sie vor allem wissen, was sie machen oder erleben wollen. In diesen Momenten fühle ich mich irgendwie leer und abgekapselt von mir. Ich erscheine dann sehr ruhig, doch innerlich bin ich gespannt und in mir tobt ein Sturm, ein innerer Kampf. Mir ist alles zu viel und gleichzeitig zu wenig sein. Mein Herz schlägt schneller, wird schwer, und ich merke, wie Stress in mir hochzieht, ohne dass sich im Außen etwas verändert oder passiert. Da ist Scham – darüber, wie hart ich mit mir selbst bin. Da ist Ärger, weil ich mich wieder verurteile. Weil ich denke, ich müsste doch „besser“ reisen. Mutiger sein. Entspannter. Freier. Ich lehne mich in diesen Momenten selbst ab, in denen ich mir eigentlich Nähe wünschen würde. Eigentlich müsste ich es doch besser wissen, wie ich mit mir umgehen sollte. Und während ich das alles denke, verpasse ich den Moment selbst. Die Musik, die Stimmung, das Hier und jetzt, es zieht an mir vorbei, während ich innerlich feststecke. Es fühlt sich an, als wäre ich da, aber nicht wirklich anwesend.
Ich bin von mir genervt, wenn ich mich dabei ertappe, wie auch ich diese hippen extra für Touris gemachten Cafés und Restaurants aufsuche. Die sind überteuert und haben so gar nichts mit dem Land zu tun, sondern sind einfach nur Insta-Like hipp. Wie ein Zufluchtsort. Aber vor was fliehe ich eigentlich? Ich mein mal so ein hippes Cafe hat ja was, aber wenn sie nur wegen den Touris (also auch wegen mir) existieren, ist das komisch und überhaupt nicht stimmig. Alles wird für den Touri ausgelegt. Ich versuche ja auch bewusst, mal abseits von den Touri Pfaden zu schauen und nicht so mit der Masse zu schwimme. Und dann ertappe ich mich doch genau dabei, das zu machen, was alle Touris machen.
I
ch Frage mich oft, ob ich einfach zu feige bin, wirklich unabhängig und frei zu reisen. Würde ich nicht sonst irgendwie mein schweres Gepäck für den Monat hier auf Bali loswerden und mir einen Roller mieten und dann die pure Freiheit genießen und diese auch leben? Mir vor Ort ne Unterkunft erst suchen, so lange bleiben, wie es mir gefällt, sich stimmig anfühlt und jeden Tag neu entscheiden? Und was mache ich stattdessen? Ich buche die AirBnBs vor, zwar so das ich stornieren kann und dennoch fühle ich mich dann verpflichtet, das so durchzuziehen. Ich bin auf teure Autotaxis angewiesen und da ich nicht verhandeln kann, werde ich glaub ständig übers Ohr gehauen.
Wie kann ich meinen eigenen Weg finden und mir treu sein und werden, ohne mir Gedanken darüber zu machen, was andere über mich denken? Darüber, ob ich eine mutige, "echte" Reisende bin? Was sind das überhaupt für Gedanken?! Und warum stresst mich jetzt auch noch die live Musik? Warum fühle ich mich so überfordert und lost? Ich bin doch in dem Urlaubsparadies Bali. Müsste ich nicht jeden Tag schweben und einfach eine hammermäßige geile Zeit haben, so wie alle anderen auch, die hier (scheinbar) im Flow Zustand sind und ein (tolles) Erlebnis nach dem anderen haben?
Warum ich nicht in den Flow-Zustand bzw. in die Frequenz oder richtige Energie komme ist mir eigentlich klar. Weil ich ständig im Außen bin. Weil ich mich von den anderen, ihren Meinung und Gedanken abhängig mache. Anstatt einfach zu sagen: Lass sie und lass mich machen, was sich für mich gut anfühlt (by the way Buchtipp: The Let Them Theorie, by Mel Robbins). Ich weiß das alles in der Theorie, hier und da kann ich auch schlaue Sätze sagen, doch bei mir selbst bekomme ich das einfach nicht umgesetzt. Ich verurteile mich, bin streng mit mir und renne mir permanent mit der Peitsche hinterher. Aber für was? Also was ist mein Ziel? Meine Motivation? Einfach nur gut dazustehen? Ich werde nie für alle gut dastehen. Jeder hat immer irgendwas auszusetzen, auch die Menschen, denen ich was bedeute und das ist ja auch okay und normal. Jeder hat seine eigene Meinung, was auch gut und richtig so ist. Und auch ich habe Meinungen über meine Liebsten. Nur weil man mal was nicht so Gutes über jemanden denkt, heißt es ja nicht, das man die Person ablehnt oder nicht mehr von Herzen mag. Und dann das auch noch bei Fremden, wo es mir doch super egal sein kann, was diese Menschen über mich denken. Diese Menschen werden mich nie wieder in ihrem Leben sehen und ich sie auch nicht mehr. Und dennoch ist es mir immer so peinlich wichtig mich von einer tollen, extravaganten, inspirierenden und mutigen Seite zu zeigen.
Für welchen Preis? Ich zahle damit, nicht wirklich ganz bei mir zu sein, mich nicht anzunehmen und nicht meinen Weg zu gehen. Warum müssen mich andere mögen? Ich habe doch bereits ganz tolle Menschen um mich herum, denen ich viel bedeute und ich in deren Herzen bin. Warum also dieses Gut-dastehen-wollen vor Fremden, die ich absolut nicht kenne? Ich mache mir ständig einen Kopf, welchen Eindruck ich auf anderen Reisende mache, ob ich frei und wie eine „echte“ Reisende wirke, wenn ich durch die Gegend laufe. Aber wen interessiert das denn bitte?
Und dann suche ich mir immer wieder Unterkünfte im Nirgendwo. Klar, dass ich dort allein bin. Aber dann muss ich niemanden beweisen, wer oder was ich bin. Sondern kann einfach sein, ohne beobachtet oder bewertet zu werden. Wenn ich alleine im Nirgendwo bin und ich weiß, ich werde nicht gesehen und nicht gehört, kann ich loslassen und irgendwie ich sein. Ich trau mich Kleider anzuziehen, die ich in der Öffentlichkeit quasi nicht anziehen würde. Ich traue mich, laut zu singen und zu tanzen. Ich traue mir sportlich neue Herausforderungen zu, weil ich weiß, hier ist niemand, mit dem ich mich vergleichen oder mithalten muss. Ich erlaube mir, dass zu essen, worauf ich Bock hab. Ich traue mich, mich hübsch und sexy zu fühlen. Ich bin in diesen Momenten stolz auf meinen Körper und irgendwie auch auf mich selbst – denn niemand ist da, der „besser“ sein könnte als ich. Wenn ich ganz allein bin, schaffe ich es, die Verbindung zu mir zu finden. Wirklich da zu sein, in mir und die Zeit zu erleben.
Ich versuche bewusst, schon extra wenig auf Instagram und Co. unterwegs zu sein, keine Stories und so anzuschauen. Denn ich weiß, dass mich das extrem triggert. Mir kommen dann solche Gedanken, wie ich müsste noch mehr machen. Und ich vergleiche mich. Innerlich läuft dann dieser Film von Gedanken, dass ich all das hier nicht richtig mache, "denn schau dir nur deine Freunde und die anderen Reisenden an, die machen es richtig". Um mir dann den Rest zu geben, kommt dieser Gedanke: Wer glaubst du eigentlich, wer du bist, um zu denken, dass du eine tolle und gute Zeit haben könntest und das auch noch darfst.
- Diese Frage: Wer glaubst du eigentlich, wer du bist – war eine tolle Übung in der Schreibtherapie, während meines zwölfwöchigen Klinikaufenthalts. Diese Frage hinterfragt so viel. Sie kann positiv, wie auch negativ gelesen werden, als ein Vorwurf oder als liebevolle Frage. Wie würdest du dir diese Frage beantworten? -
Ich frage mich oft, warum ich eigentlich reise. Ein Teil davon ist Flucht. Weg von zu Hause, von meinen Problemen und Schatten, die mich dort verfolgen. Ich laufe weg von alten Mustern, von Themen, von Schatten, die mich zu Hause einholen und dort laut werden. Ich brauche Abstand, um Luft zu holen, um nicht jeden Tag mit denselben Triggern konfrontiert zu sein. Gleichzeitig renne ich auf etwas zu - auf neue Erfahrungen, neue Eindrücke und neue Möglichkeiten. Das ist der andere Teil, die Suche oder besser gesagt das Finden. Mir die Frage beantworten: Was möchte mir das Leben noch zeigen, was bietet das Leben noch? Finde ich oder findet mich der Ort oder die Tätigkeit, wo ich mich angekommen und irgendwie zu Hause fühle? Ob es einen Ort, eine Tätigkeit, einen Rhythmus gibt, der sich nach mir anfühlt. Es ist alles drei zusammen. Flucht, Suche und Finden. Ich reise, um mich wieder zu spüren. Um herauszufinden, wer ich bin.
Manchmal ärgere ich mich über mich selbst, weil ich gefühlt schon mal besser gereist bin. Ich war mutiger. Habe bessere Wege gefunden, um herum zu kommen. Wusste Facebook-Gruppen für mich zu nutzen. Ich bin mit dem Roller und meinem Backpack über Inseln geheizt. Habe spontan Lokals kennengelernt und so meine Unterkünfte und Unternehmungen gefunden. Aber ich erinnere mich, dass ich mich auch damals schon verurteilt habe, nicht genug zu machen und immer an den falschen Orten zu sein.
Eine Erinnerung, die sich fest in mir eingebrannt hat, und das Dilemma gut untermauert, ist eine kleine Reise während meines Auslandssemester in Japan. Ich hatte mir eine Woche frei genommen und die Insel Shikoku bereist. Ganz in den Süden, von der kleinen Insel. Ich hatte nämlich von einem internationalen Studi vor mir gehört, dass man dort „mega Sachen“ machen kann. Doch ich wusste nicht genau wo er war und was er dort gemacht hatte. Nunja und so hab ich versucht auch eine geniale Woche zu erleben. Ich bin von Ort zu Ort gereist. Allein. Hab mich oft gefragt, was ich eigentlich sehen oder erleben will. Meine Erwartungshaltung: Ein unvergesslicher Trip, mit einer tollen Erfahrung und magischen Moment nach dem anderen. Ich hatte schöne Ausblicke und gutes Essen. Doch ständig unzufrieden und dachte mir immer, da muss doch irgendwie mehr kommen, was krasseres oder schöneres. Doch der eine Nachmittag der sich so eingebrannt hat, ist folgender:
Ich bin in einem kleinen Ort südlich der Insel Shikoku. Für viele Menschen bin ich vermutlich die erste westliche Person, die sie je gesehen haben (blond und blauäugig) und ich wandere ohne Plan umher. Ich hoffe auf diese eine magische Aussicht, diesen einen besonderen Ort. Doch ich finde nur einen klienn Shrine mitten im Nirgendwo, im Wald, aber nichts tolles, keine Aussicht, keine Magie, einfach nichts. Ich fange an zu weinen, ich mache mich selbst fertig und mich klein, dass es mir eben einfach nicht zusteht Tolles zu erleben. Alle anderen ja, aber nicht mir. Ich wandere in dieser Stimmung und dem Minderwertigkeitsgefühl umher, ohne einen Plan zu haben. Dann irgendwann sehe ich ein Hotel, mit einem öffentlichen Onzen. Ich entscheide mich dazu in den Onzen zu gehen. Und hier ist nun das Magische passiert: Ich sitze nackt in dem heißen Wasser, den offenen Ozean vor mir. Und dann beginnt die Sonne unterzugehen. Sie geht direkt, als ein riesen großer roter Feuerball, im blauen Meer unter. Der perfekte, malerischite Sonnenuntergang, den ich bis dahin, je gesehen und erlebt habe. Jetzt habe ich wieder Tränen in den Augen, doch diesmal vor Ergriffenheit. In diesem Moment ist auf einmal alles gut. Es ist so wunderschön, diese Szene zu beobachten, ich kann mich von dem Anblick gar nicht lösen. Nach dem heißen Bad, gönne ich mir noch richtig leckeres Essen, welches ich auch noch ganz genau in Erinnerung habe. Ich war allein, aber zufrieden und ganz bei mir. Natürlich hatte ich am nächsten Tag, dieses Erlebnis schon wieder vergessen und wollte direkt das nächste Highlight. Das nächste High. Was natürlich nicht kam, weil meine Rückreise anstand. Es ist auch einfach nicht realistisch ein mega Ding nach dem anderen zu erleben. Und warum hat sich nun diese Erinnerung so eingebrannt (abgesehen vom malerischen Sonnenuntergang): Weil die tollen, magischen Momente ohne Erwartung und ohne Vergleiche entstehen. Wenn man einfach macht, was das Bauchgefühl sagt. Und man wird mit einer art Magie belohnt.
Reisen bedeutet nicht immer frei zu sein. Man kann sich selbst nicht einfach abschüttelt, nur weil man an einem anderen Ort ist. Man hat immer seinen persönlichen Rucksack dabei, egal wohin man geht. Und es ist okay, sich unterwegs verloren zu fühlen.


























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